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Älter werden

Alles fing an als ich zirka 35 ein halb Jahre alt war: ich bekam plötzlich Falten im Gesicht. Nicht die üblichen um die Augen und dem Mund, die beim Lachen entstehen; nein, es waren Mikro-Fältchen auf den Backen.

Voller (innerer) Panik fing ich an nach Anti-Aging-Cremes zu suchen.
Da gibt es unendlich viele auf dem Markt, und ich habe viele Stunden im Internet verbracht, um heraus zu finden, warum meine Haut Falten bekommt und welche natürlichen und nicht-natürlichen Bestandteile das rückwirkend machen könnten. Meine Suche war nur bedingt erfolgreich, also fragte ich auch vorsichtig im engeren weiblichen Familien- und Freundeskreis, welche Cremes denn sinnvoll wären.
Ich habe dann eine Lotion und Creme aus Korea in die Hände bekommen, mit dem Sekret einer besonderen Schnecke als wunder-wirkenden Hauptbestandteil, und fühlte mich endlich „sicher“. Jeden Morgen Gesicht mit kaltem, klaren Wasser spülen, die Lotion aufbringen, jeden Abend das Gesicht mit auf natürlichen Inhaltsstoffen basierendem Gesichtsgel gewaschen, die „Schneckencreme“ drauf, 5 Minuten massieren.

Als nach einer Woche sich gefühlt an meinem Hautbild nichts verändert hatte, sagte meine Freundin, die mir die Creme empfohlen hatte: „Du musst es konsequenter und auf längere Zeit durchhalten, bevor sich etwas ändert!Meine Elan wuchs ein wenig wieder, und ich wusch und schmierte und wusch und massierte fröhlich weiter.

Doch, wider Erwartens, kam auch nach einem Monat die gewünschte Veränderung nicht, und zwar – das Verschwinden der Fältchen!
Im Gegenteil – die unbeliebten, nun schon verhassten blassen Striche auf den Wangen wurden mehr. Und die Haut selbst unausgeglichener.
Nun ist es ja so, dass die psychische Gesundheit im direkten Zusammenhang mit der physischen steht: das heißt, wenn es mir geistig nicht gut geht, leidet auch mein Körper. Das alles war mir so halbwegs bewusst geworden. Trotzdem war der Drang nach Veränderung und die Nicht-Akzeptanz da, zumindest unbewusst.

Und so machte ich kurzerhand einen Termin bei einer Frisöse aus, die wohl sehr gut krasse Änderungen und Umstylings anbot. So zumindest laut Aussage des Internets und einiger persönlicher Kontakte.

Mein Mann sagte nur: bitte nicht zu kurz und bitte nicht blond. Was glaubt ihr, wie bin ich wieder nach Hause gekommen? Nicht dass ich meinen Mann ärgern wollte, ganz im Gegenteil: ich hatte schon etwas Bammel mich von meinen fast hüftlangen Haaren in braun mit einem kinnlangen Bob in leicht orangen schimmernden dunkelblond einzutauschen. Ich rief sogar meinen Mann vom Frisörsalon an und fragte, ob ich das wirklich machen sollte! In dem Moment schien es wie ein Befreiungsschrei, der von weit weg mich erreichte – Haare ab und ein neuer Mensch sein.

Nein, kein Mensch: eine neue, junge, attraktive Frau zu sein.
Mein neuer Haarschnitt war für alle, mich inklusive, gewöhnungsbedürftig (außer unseren Sohn, der mich nur kurz ansah, und mit seinen dreieinhalb Jahren nur kurz fragte: Wo sind denn deine Haare Mama? -Der Frisör hat sie abgeschnitten. -Ach so. Ich liebe dich, Mama.)
Und ich legte dann gleich noch eine Schippe drauf: ich machte Selfies und meldete mich bei verschiedenen Portalen an, auf denen Models gesucht wurden.

Nach vielen Absagen und noch mehr unseriösen Anfragen suchte ich kurzerhand selbst nach Fotografen, bzw. Fotografinnen, um mir ein Portfolio anzulegen. Ich dachte, mit professionellen Bildern nehmen die mich eher in einer Agentur auf oder für Shootings. Ich muss sagen, es sind in den nächsten 6 Monaten viele schöne Bilder mit mir entstanden, und ein paar einzigartige. Es hat mich aber überhaupt nicht erfüllt; nach den ersten paar Shootings (was auch immer nur Hobby-Fotografen/-innen waren) merkte ich, dass es nie darum ging, wer ich bin, was ich denke, was ich möchte, sondern immer nur um – wie sehe ich aus.

Ha ha, denken jetzt bestimmt die meisten, was hast du dir bitte anderes erwartet? Nun, eine gewisse Neugierde das ganz bestimmte eine Bild, mit der einen bestimmten Nuance im Model und in der Umgebung zu haben; eine Perfektion und Ambition nach dem gewissen Etwas. Und auch mal tolle Fotos mit einem lachenden Gesicht! (die meisten Fotografen sagten, ich sollte weniger lachen..)
OK, wie gesagt, es waren ja nur 6 oder 7 Fotografen, mit denen ich in den 6 Monaten Shootings hatte, und ich wäre auch ungerecht zu sagen, dass es immer nur darum ging sexy auszusehen und ernst zu schauen. Und trotzdem – die Oberflächlichkeit, die nun einmal gegeben ist, wenn es darum geht, dass das Bild GUT AUSSIEHT, bleibt. Erst im Nachhinein habe ich festgestellt, dass diese Fotoshootings zum größten Teil meinem inneren und unbewussten Wunsch befriedigen sollten, eine schöne, nicht alte, Version von mir zu sehen.

Und so fing meine Reise an, mich mit dem Älterwerden zu beschäftigen.

Seit dem besagten Punkt in meinem Leben mit 35einhalb Jahren sind nun 3 Jahre vergangen. Und es hat sich so vieles in meinem Leben verändert – vor allem meine Sicht auf Dinge, auf mein Leben, auf mich. Es ist so schon eine Herausforderung ein Kind zu haben, eine gute Ehefrau zu sein, den Haushalt zu schmeißen, und dann noch irgendwie irgendwann für sich selbst zu sorgen. Ich bin von Haus auf jemand, die für die Nächsten zuerst sorgt, bevor ich an mich denke. Das ist bzw. war meine Erziehung. 
Als unser Sohn 3 Jahre alt war und wir ihn mit fast 3einhalb endlich im Kindergarten eingewöhnt hatten (er ging nur halbtags zum Kindergarten), habe ich längst vergessene Freizeiten erfahren. Die meiste Zeit ging zwar für Haushalt und Arbeit aufs Land; ich lernte aber, mir Zeit für mich zu nehmen.

Aktiv.

Das heißt, einen festen Zeitraum für Sport, Meditation, Lesen, Schreiben etc. zu haben.

Was auch immer in dieser definierten Stunde für mich richtig anfühlte, wurde gemacht. Wobei ich sagen muss, dass Sport und Bewegung trotzdem an erster Stelle stehen. 
Wenn ich morgens nach dem Aufstehen nicht meine 10 – 20 Minuten Yoga gemacht habe, und ein paar Mal in der Woche unseren Berg nicht hoch und wieder runter gehe, habe ich einfach keinen optimalen Start in den Tag. Ich brauche Bewegung, ich brauche den Schweiß, oder zumindest braucht es mein Körper.

Es ist mittlerweile bewiesen, dass Stress am besten in Bewegung abgebaut wird. Das kommt daher, dass vor Tausenden von Jahren, als unsere Vorfahren noch Wild gejagt und vor Säbelzahntigern weggerannt sind, Stress eigentlich nur in lebenswichtigen Situationen entstand: und der Mensch musste rennen oder kämpfen, ansonsten war er/sie tot. Die Aktivität im Körper, in jeder Zelle, führte dazu, dass der entstandene Stress aus der Situation aktiv abgebaut wurde (uns der Säbelzahntiger entweder verletzt und tot war oder der Mensch ihm glücklich entflohen war).
Das Problem ist, dass heutzutage das Cocktail an Hormonen, das bei Stress ausgeschüttet wird, genau das gleiche ist wie vor Tausenden von Jahren. Wir aber den Stress nicht, wie damals, mit einem 200m – Vollsprint oder einer Samurai-würdigen Kampfaktion wieder abbauen, sondern meistens uns zu Hause auf die Couch vor dem Fernseher, Tablet oder Smartphone pflanzen, und uns schön von den stressigen Situationen am Tag ablenken.

Der Stresspegel steigt, wir werden immer unausstehlicher, nörgeln Familie und liebe Menschen an, die mit unserem Problem überhaupt nichts zu tun haben, bis wir mit dem „Burnout“-Stempel vom Arzt versehen werden, noch ein paar Wochen auf der Couch verbringen (wobei hier der Stresspegel wieder etwas sinkt, da wenig neue Stresssituationen entstehen), und fangen das ganze Spiel wieder von vorne an.

So weit wollte ich auch ursprünglich nicht ausholen. Was ich sagen möchte, ist, dass ich für mich erfahren habe, wie sehr ich Zeit für mich brauche, und dass ich dadurch keine schlechte Mutter oder schlechter Mensch bin, nur weil ich auch mal an mich denke. 
Und gerade in dieser Zeit für mich fing ich an mich intensiver mit meinem Wohlergehen zu beschäftigen.

Und damit, dass ich nun mal nicht mehr Anfang 20 bin, der die Jungs hinterherschauen oder die bei der Autowartung beim Autoservice Extra-Aufmerksamkeit bekommt.

Und ich musste mir eingestehen, dass 15 und 20-Jährige junge Erwachsene nichts mit mir zu tun haben wollen (bis auf die Höflichkeiten, die ein oberflächliches Gespräch hergibt), weil ich

ALT

bin.

Alt, wirklich? Mit knapp 39 Jahren alt sein???

Es kommt ja auf die Perspektive an..und für einen 20-jährigen gehöre ich tatsächlich zur älteren Generation. Für einen 70-jährigen natürlich nicht – es ist die Blüte des Lebens, höre ich immer wieder sagen.

Warum, verdammt, fühle ich mich dann nicht so?!

Es ist wirklich ein Phänomen: bis zu dieser magischen 35-Jahre-Grenze fühlte ich mich unsterblich:ich war hübsch, jung, genoss Komplimente von allen Seiten, genoss Aufmerksamkeit und manchmal neidische Blicke; mein Körper zeigte keine Spur der Vergänglichkeit, und ich hatte das Gefühl alles erreichen zu können, was ich nur möchte.

Dieses Gefühl der Unsterblichkeit ist weg.
Vielleicht nicht für immer, aber auf jeden Fall im Moment.
Es ist überhaupt mehr und mehr die Frage nach dem Jetzt, die mich beschäftigt.

Jetzt, in diesem Moment glücklich sein.
Jetzt, in diesem Moment dankbar sein.
Jetzt, in diesem Moment zufrieden zu sein.

Ist es denn so schwer?

Oh ja, das ist es. Weil wir dermaßen darauf getrimmt sind, uns für andere zu verbiegen, anderen Alles Recht zu machen, am besten das ganze nächste Jahr schon verplant zu haben, um Sicherheit zu simulieren, und gleichzeitig unsere Vergangenheit zu reflektieren und auswerten, damit wir morgen ein besserer Mensch sein können.. Wo bleibt denn bitte die Zeit im JETZT zu sein?

Wann kann ich denn jetzt leben?

Was sagst Du dazu? Hast Du / hattest Du Probleme mit dem Älter werden? Schreibe mir!